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Fragwürdige Umfrage: Religionsunterricht abschaffen?

Jeder Sechste ist schon betrunken Fahrrad gefahren, 17 Prozent der Deutschen haben im September schon Weihnachtsgebäck genascht und drei Viertel der Deutschen sagen „Ja“ zum Wurf des Brautstraußes. Diesen und ähnlichen mehr oder weniger relevanten Umfragen widmet sich YouGov, ein börsennotiertes britisches Markt- und Meinungsforschingsinstitut. Nun hat sich YouGov den Religionsunterricht vorgenommen und herausgekommen ist ein tendenziös ausgewertetes…
Jeder Sechste ist schon betrunken Fahrrad gefahren, 17 Prozent der Deutschen haben im September schon Weihnachtsgebäck genascht und drei Viertel der Deutschen sagen „Ja“ zum Wurf des Brautstraußes. Diesen und ähnlichen mehr oder weniger relevanten Umfragen widmet sich YouGov, ein börsennotiertes britisches Markt- und Meinungsforschingsinstitut. Nun hat sich YouGov den Religionsunterricht vorgenommen und herausgekommen ist ein tendenziös ausgewertetes Ergebnis – aufgenommen von etlichen Medien in Deutschland:
“Mehrheit will Religionsunterricht abschaffen” so titeln etwa FAZ, Süddeutsche, Stern, Morgenpost und viele andere mehr. Auch das christliche Medienmagazin pro übernimmt die Ergebnisse unhinterfragt und einige evangelische Landeskirchen positionieren sich gegen das Ergebnis.
Was aber ist dran an der Umfrage und an den Ergebnissen?
Forschungsdesign
Schon für 480€ kann sich jeder eine Frage bei YouGov kaufen. Wer “Express” buchen will, bekommt bereits nach 24 Stunden Ergebnisse und zahlt 750€.
Für die Umfrage zum Religionsunterricht wurden “auf Basis des YouGov Omnibus in Deutschland 1048 Personen im Zeitraum vom 23. bis 27. September 2016 repräsentativ befragt”. Wer an Yougov-Umfragen teilnehmen will, registriert sich bei dem Portal und bekommt für jede Umfrage Punkte gutgeschrieben. Die kann er sich später in Form von Geld auszahlen lassen.
Die Zahlenmacher skalieren dann die rund 1000 Personen offensichtlich einfach hoch und sehen sich dann in der Lage, sogar Subgruppen wie “Unions-Anhänger” oder den “säkulären Osten” auszuweisen. Ein ähnliches Vorgehen wurde für die Sonntagsfrage schon massiv kritisiert: Heinz Behme, Statistiker bei Allensbach äußerte gegenüber der taz: „Es handelt sich um einen massiv selektierten Querschnitt.“ Er geht also nicht davon aus, dass die Auswahl, selbst mit einer ausgeklügelten Gewichtung von Alter, Herkunft oder Geschlecht, einen repräsentativen Querschnitt ergibt.
Auswertung
Selbst wenn man unterstellen würde, dass die Zahlen zumindest Tendenzen aufzeigen könnten und YouGov nicht wieder wie bei einigen anderen Prognosen danebenliegt, erscheint die Auswertung doch fragwürdig. Einmal abgesehen davon, dass die Daten nicht offengelegt werden sondern nur Ergebnisse in Grafiken aufbereitet sind, erscheinen auch diese tendenziös betitelt:

Bitte einmal kurz hinschauen:
Die Frage lautete: “Welche Bedeutung sollte ihrer Meinung nach den folgenden Aspekten im Religionsunterricht zukommen?”
Laut der Grafik messen 79% der Befragten der eigenen Religion im Religionsunterricht Bedeutung bei und lediglich 11-14% lehnen es ab, dass die eigene oder verschiedene Religionen behandelt werden sollten.
Welchen Titel gibt YouGov dieser Grafik?: “Religion sollte nicht im Zentrum stehen”.
Ähnlich konstruiert sich der Titel, der von vielen Medien aufgenommen wurde zur “Abschaffung des Religionsunterrichts”. Die Fragestellung war eine ganz andere, nämlich die nach einer Befürwortung eines gemeinsamen Werteunterrichts anstatt des Religionsunterrichts. Aus den Antworten einen Zuspruch zur “Abschaffung” zu konstruieren, wenn im Westen lediglich 37% der Befragten voll und ganz eine Befürwortung für einen gemeinsamen Werteunterricht aussprechen, ist schon ein starkes Stück.
Gefühlte Wahrheit
Nichts desto trotz, erscheint im “postfaktischen Zeitalter” die Wirklichkeit zunehmend von Wahrnehmungen geprägt zu sein. YouGov scheint sich dem Ziel verschrieben zu haben, diese Wahrnehmungen dann mit Zahlen zu unterfüttern und die Fakten-Gläubigen nehmen diesen Trend unreflektiert und ohne eigene Recherche auf. Katja Berlin treibt ein solches Verhalten mit ihren Torten der Wahrheit immer wieder auf die Spitze. Im vorliegenden Fall würde eine humorvolle Interpretation der Ergebnisse in ihrem Sinne möglicherweise so aussehen:

Religionsunterricht vermittelt grundlegende Kompetenzen in einer pluralen Welt
Ziel des Religionsunterrichts ist gebildete Religion. Zu solch einer Bildung gehört es, Kompetenzen zu erwerben. Beispielsweise
- Orientierungs- und Deutungsmuster zu erwerben und zu reflektieren und dadurch einer Umfragegläubigkeit nicht voreilig auf den Leim zu gehen
- Rollen und Handlungsmöglichkeiten zu erwerben und zu reflektieren und somit Motivationen von Meinungsforschungsinstituten und die Plausibilität von gefühlten Wahrheiten zu überprüfen.
- Grundformen religiöser Sprache (z.B. Mythos, Gleichnis, Symbol, Bekenntnis, Gebet, Gebärden, Dogma, Weisung) zu kennen, zu unterscheiden und zu deuten. Erzählungen von Mehrheiten, die etwas abschaffen wollen, wären im Religionsunterricht nicht nur auf ihre transportierte vermeintliche Wahrheit sondern auch auf ihren mythischen Kern hin zu reflektieren.
Interessant zum Weiterlesen:
Religiöse Orientierung gewinnen
Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, November 2014