Wenn die verliebte 16-Jährige ihrem behüteten Leben hier den Rücken kehrt und dem Jahre älteren Dschihad-Kämpfer als Ehefrau nach Syrien folgt oder selbst ins Terrortraining geht, ist das leider keine PEGIDA-Erfindung – es kann durchaus zur (wenn auch nicht häufigen) traumatischen Erfahrung wohlmeinender Eltern hierzulande werden. Dass das Leben in Vollverschleierung im Extremistenpatriarchat unter Bürgerkriegsbedingungen…
IS-Bräute: Der Schrecken der Leere (Filmebesprechung)
Wenn die verliebte 16-Jährige ihrem behüteten Leben hier den Rücken kehrt und dem Jahre älteren Dschihad-Kämpfer als Ehefrau nach Syrien folgt oder selbst ins Terrortraining geht, ist das leider keine PEGIDA-Erfindung – es kann durchaus zur (wenn auch nicht häufigen) traumatischen Erfahrung wohlmeinender Eltern hierzulande werden. Dass das Leben in Vollverschleierung im Extremistenpatriarchat unter Bürgerkriegsbedingungen nicht den erhofften siebten Himmel, sondern die Hölle auf Erden bedeutet, erleben wohl immer mehr Betroffene und suchen bekanntermaßen inzwischen nach (gar nicht so einfach zu erlangenden) Rückkehrgelegenheiten.
Es mag Traum, es mag Verführung gewesen sein – die Herausforderung bleibt: Glaube als totale Hingabe und Selbstverneinung bis in den Tod (in den sogar andere mit hineingerissen werden) – dann meint man es doch erst ernst mit der Religion, oder? Im Religionsunterricht braucht solch alterstypischer Rigorismus (s. hier S.23) dringend seine Bearbeitung. Dabei steht durchaus die Glaubwürdigkeit genormter Erwachsenenfrömmigkeit auf dem Spiel: sie wird in dieser Perspektive als weichgespült, nichtssagend und feige-angepasst wahrgenommen. Zudem bietet sie keine Gegenwehr zu kapitalistischer Ausbeutung und kultureller Fremdbestimmung: die hierbei spürbare Leere ist eigentlich das, worüber sich Religionslehrkräfte Sorgen machen können.
Auch in den Bildungsplänen ist die Herausforderung wahrnehmbar, zwei Filme helfen vielleicht, damit Schülerinnen und Schüler “sich mit lebensförderlichen und destruktiven Wirkungen von Religion … auseinandersetzen (zum Beispiel Freiheit versus Abhängigkeit, Toleranz versus Absolutheitsanspruch, Frieden versus Gewalt, Laizismus versus Gottesstaat)” können (B.-W. 2016, REV GY Kursstufe Kl. 11/12, 3.4.6 Religionen und Weltanschauungen, TK 1).
Beide Spielfilme wählen mit ihren Teenie-Protagonistinnen genau den persönlich-emotionalen Ausgangspunkt, der Eltern am meisten Angst macht: verliebt bis über beide Ohren und ab in den Gotteskrieg! Und beide geben sie nebenbei ein belämmerndes Umgebungsbild von der Institution, in der gerade RU-Lehrkräfte sich nach Kräften um Orientierung bemühen: Schule ist da, wo Schüler*innen überflüssige, für Lebensfragen irrelevante Informationen am …. vorbeigehen. Gut ist immerhin, dass mir das hier im Film gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern vorgeführt wird, ich es also als Relilehrkraft nicht “bringen” muss, sondern gemeinsam mit der Klasse nach Ursachen und Lösungen forschen kann.
“Take me to the Land of Jihad” D 2016, 15 min. f., Regie: Dettmer, Ph., FSK: LEHR
“Nach einem Party-Absturz ist die 15-jährige Charlotte bei ihren Mitschülern unten durch. Ausgegrenzt und lächerlich gemacht rutscht das Mädchen in eine Krise. Verständnis findet sie bei ihrer islamistischen Freundin Samra, die heimlich nach Syrien gegangen ist und sich dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen hat. Charlotte lässt sich von Samras islamistischer Propaganda anstecken. Nun ist sie es, die sich immer mehr abgrenzt und schließlich davon träumt, Samra nach Syrien zu folgen. Bei einem Streit im Religionsunterricht kommt es zum Bruch: Unverstanden und wütend stürmt Charlotte aus dem Unterricht. Ihre Mutter glaubt an Teenager-Eskapaden, doch Charlottes Entscheidung steht bereits fest.” (Filmsortiment.de, Anbieter Bildungslizenz + Begleitmaterial)
Der schulnahe Kurzspielfilm greift die brisante Thematik auf, indem Motive wie erotikunterlegte Lust auf orientalisch-märchenhafte Abenteuer, kriegerische Bewährungsproben und Sehnsucht nach weltanschaulicher Eindeutigkeit (wo hierzulande nur mühsam ausgehandelter demokratischer Konsens zu haben ist) anschaulich erfahrbar gemacht werden. Der “Beitrag” jugendlichen Mediennutzungsverhaltens und die zweifelhafte Rolle von YouTube-Online-Terrorpropaganda sind wünschenswert deutlich. Mitten im Lehrplanthema Buddhismus (ausgerechnet!) kommt auch so etwas wie Religionsunterricht an der einheimischen Schule vor, womit sich das Fach selbst und seine Relevanz trefflich thematisieren lässt (samt der im Unterricht vermittelten Sicht auf weltanschaulichen Absolutheitsanspruch und religiöse Radikalisierung). Ein offenes Ende spielt die Frage an das Publikum zurück, ob die authentische Protagonistin den Schritt nach Syrien wirklich macht. Oft wird allerdings auch mit Mitteln der Übertreibung gearbeitet, etwa wenn sie sich im Ganzkörper-Nikab in der Sportumkleide erprobt. Schauspielerische Leistungen sind eher übersichtlich (manchmal Probleme der akustischen Verständlichkeit). Das Begleitmaterial kennt leider neben allgemeinen Ratschlägen nur noch (immerhin aber) das Aufführen von Beratungsstellen gegen Radikalisierung.
“Der Himmel wird warten” F 2016, ca. 101 min., f. Regie: Mention-Schaar, M.-C., FSK: 12
“Das Haus der Familie Bouzaria wird eines Nachts von der Polizei gestürmt, weil die 17-jährige Tochter Sonia mit Dschihadisten in Kontakt stand, die in Frankreich einen Terroranschlag planten. Die ahnungslosen Eltern Catherine und Samir sind bereit alles zu tun, um die junge Extremistin zu bekehren. Während eines strikten Hausarrests ohne Internet und Smartphone findet die wütende Sonia langsam ins frühere Leben zurück. Unterdessen verfällt die 16-jährige, sozial engagierte Christin Mélanie einem jungen Mann, den sie im Internet kennengelernt hat und der sie mit dem Islam vertraut macht und dann zum Dschihad verleitet. Derweil sucht ihre verzweifelte alleinerziehende Mutter Sylvie Unterstützung in einer Selbsthilfegruppe, die von der engagierten Sozialarbeiterin Dounia Bouzar geleitet wird, die Eltern radikalisierter Jugendlicher berät.” (Matthias-Film, Anbieter Bildungslizenz: Altersempfehlung ab 14 J., ab 9. Klasse)
Der Spielfilm weist durch abgewechselte Zeitebenen und Erzählstränge eine Handlung auf, der man (besonders zu Anfang) nicht leicht folgen kann und die es ratsam erscheinen lässt, ihn nur im Ganzen zu zeigen. Der Zugang zum Extremismus- /Radikalisierungsphänomen ist auch für schulische Zielgruppen ausgezeichnet gewählt: die emotionale Bereitschaft weiblicher Teenies, sich einer geheimnisvollen erotischen Erstbeziehung zu öffnen. Die nachvollziehbare Verführungswirkung ergibt sich aus Bedürfnissen nach Nähe und exklusiver Anerkennung genauso, wie sie die Orientierungsdefizite des westlichen Kulturmodells offenzulegen vermag. Schule muss es sich dabei gefallenlassen, als bestenfalls langweilige Anstalt irrelevanter Informationsanhäufung dargestellt zu werden. Im Mittelpunkt stehen aber die familiären Situationen, die im Selbsthilfegespräch der betroffenen Elternpaare sehr eindrücklich zutage treten. Man kann bei diesen Gelegenheiten zweifeln, ob der Film nicht eher die Elterngeneration als Zielgruppe anspricht. Allerdings dürfte die Perspektivenübernahme für Schülerinnen eine durchaus heilsame Horizonterweiterung ihrer altersbedingt rigoros-rebellischen Sinnsuche in Richtung auf mögliche soziale Nebenwirkungen darstellen. Selbst wenn man aufgrund des frankophonen Backgrounds (der von unserem bundesdeutschen u.a. durch die laizistische Privatstellung von Religion, z.B. Religionsunterricht, doch verschieden ist) leichte Abstriche machen muss, ergeben sich sonst selten erhältliche Einblicke und damit wertvolle Bildungsgewinne: 1. durch die scheibchenweise vorgeführte plausible Verführungstechnik, die sich in Chat-Skripts und mithilfe von IS-Propaganda-Chiffren und -videos entfaltet. Und 2. durch die einzige Nicht-Schauspielerin, die sich selber spielt: “Die Anthropologin Bouzar, Tochter eines Algeriers und einer Korsin, hat vor drei Jahren das französische Zentrum zur Prävention, Entradikalisierung und individueller Betreuung (CPDSI) mitbegründet, dessen Mitarbeiter mittlerweile über 1100 Jugendliche und deren Eltern betreut und durch ihr Deradikalisierungsprogramm begleitet haben.” (Alex Rühle, in: Süddeutsche Zeitung, 22.03.2017) Daher kommen wahrscheinlich auch die Insider-Kenntnisse des Films, die ihn so wertvoll machen. Angeregt durch diesen Film muss im Religionsunterricht neben schon lange überfälliger Materialismus- und Kapitalismuskritik dringend thematisiert werden, ob (und wenn ja, warum) herkömmliche Orientierungsangebote grundgesetzkompatibler Religionsgemeinschaften nicht mehr genügend Anziehungskraft für Jugendliche bieten können. Hier zur epd-Filmkritik.