Ich habe mir 21 Hobbykartoffeln bei einem Umweltversand bestellt. Als Pflanzkartoffeln sind die Sorten nicht zugelassen. Ich muss deshalb darauf achten, “dass sie nicht auf gutes Land fallen, damit sie auf keinen Fall wachsen und neue Knollen bilden können”, so die Beschreibung im Prospekt. Kartoffelgeschichte Luther erschütterte Deutschland – aber Francis Drake beruhigte es wieder:…
Tolle Knolle: 21 Hobbykartoffeln aus dem Internet
Ich habe mir 21 Hobbykartoffeln bei einem Umweltversand bestellt. Als Pflanzkartoffeln sind die Sorten nicht zugelassen. Ich muss deshalb darauf achten, “dass sie nicht auf gutes Land fallen, damit sie auf keinen Fall wachsen und neue Knollen bilden können”, so die Beschreibung im Prospekt.
Kartoffelgeschichte
Luther erschütterte Deutschland – aber Francis Drake beruhigte es wieder: Er gab uns die Kartoffel.
(Heinrich Heine)
Martin Luther kannte zwar die Bibel, jedoch noch keine Kartoffeln. Es dauerte nach der Reformation fast zwei Jahrhunderte, bis sich die Kartoffel in Europa als Lebensmittel durchsetzen konnte. Heute sind sowohl Bibelübersetzungen als auch Kartoffelzüchtungen urheberrechtlich geschützt und lassen sich nicht mehr so einfach weiterverbreiten.
Kartoffelkontrolle
Meine Hobbykartoffeln darf ich selbst essen, an Vögel verfüttern oder auf felsigen Boden und unter Dornen werfen. Ich sollte sie allerdings nicht mit Schülerinnen und Schülern in der Schule anpflanzen. Sonst geht es mir eventuell wie zahlreichen Bauern, die 2005 von der “Saatgut Treuhand Verwaltungs GmbH”, das ist so eine Art Kartoffelministerkonferenz, verklagt wurden. Die Bauern wurden verdächtigt, Kartoffeln oder andere Feldfrüchte aus ihrer eigenen Ernte zur Aussaat im nächsten Jahr zu verwenden. Die Saatgut-Treuhand hatte damals Kundendaten über die Bauern bei den Genossenschaften ermittelt. Es wurden Trojanerkäufe getätigt, um Beweismaterial sicherzustellen und Bauern, die die Auskunft verweigert haben, wurden verklagt.
Keine Inklusion für Kartoffeln
Zulassungskriterien für die Sortenzulassung von Kartoffeln richten sich heutzutage nach Homogenität, Stabilität und Ertragssteigerung. Da können meine Hobbykartoffeln natürlich nicht mithalten, selbst wenn sie gerade das für mich so liebenswert macht.
Vermehren, aufbereiten und vertreiben darf die olle Knolle nur der Inhaber eines Sortenschutzes. Alle anderen nur unter angemessenem Entgelt an den Züchter. Wo kämen wir auch hin, wenn jeder alle möglichen Sorten von Kartoffeln unentgeltlich züchten und vermehren dürfte!?
Die analoge Kartoffel
Bauern und Bäuerinnen dürfen Kartoffeln nicht so einfach aufbewahren, tauschen oder wiederaussäen. Auch wenn es einige Kartoffeltauschbörsen im Internet gibt, gilt nach wie vor: Die gebührenbefreite Anbaufläche für Kleinbetriebe bleibt auf fünf Hektar beschränkt. Viele Kartoffeln sind und bleiben ein geistiges Eigentum, das geschützt ist. Das gilt auch für Karl-Theodor zu Guttenberg, dem als “idealem Multiplikator” im Kartoffelanbau die “Goldene Kartoffel 2010” verliehen wurde und mit dem seit der Plagiatsaffäre ja wohl niemand mehr in einen Kartoffeltopf geworfen werden möchte.
Der Fluch der Kartoffel
Früher hieß es in den Sonntagspredigten, die Kartoffelpflanze sei eine Teufelswurzel, in der das Böse sitze. Da Kartoffeln in der Bibel nicht vorkommen, meinten manche Kirchenmänner, Gott habe nicht gewollt, dass Menschen sie verspeisen. Botaniker und Mediziner stuften sie als Giftpflanze ein, weil die oberirdischen Teile des Nachtschattengewächses giftig sind.
Die älteste deutsche Kartoffelsorte ist heute die Sieglinde. Da der Sortenschutz für Kartoffeln in Deutschland 30 Jahre beträgt und ihre Zulassung 1935 beantragt wurde, ist sie nun inzwischen “frei”. Meine Hobbykartoffeln und viele anderen Knollen sind jedoch nicht gemeinfrei.
Was soll ich also nun mit meinen tollen Knollen anfangen?
Bei einem Preis von 19,95€ für eine Tüte mit 21 Speisekartoffeln in 7 besonderen Sorten, wage ich nicht, sie aufzuessen.
Sollte ich sie als Anschauungsobjekt meinen Kindern und Kindeskindern aufbewahren, um ihnen später einmal die frühere Biodiversität zeigen zu können?
Oder soll ich sie einfach wegwerfen und somit den Vögeln, den Felsen und den Dornen preisgeben?
Weiß jemand Rat?
Die Bibel?
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Sehr geehrter Herr Lohrer,
ich verstehe Ihren Artikel doch hoffentlich nicht so, dass Sie zum illegalen Privatkartoffeleinsatz aufrufen wollen. Wo kämen wir in Deutschland hin, wenn jede Kartoffel einfach Kartoffel sein dürfte? Nur das, was offiziell vom Kartoffelministerium als Kartoffel anerkannt ist, darf sich eigentlich Kartoffel nennen. Und das ist gut so. An einer gesamteuropäischen Lösung arbeitet Brüssel intensiv.
Wir gut das auf lange Sicht der Kartoffel tun wird, sieht man an der positiven Entwicklung der Tomate. Endlich alle gleich, im Aussehen, im Geschmack und im Wassergehalt.
Ich bitte Sie also, Ihre Haltung zu überdenken und den leicht anarchischen Zug in Ihren Ausführungen, die man auch als rechtswidrigen Aufruf zur Nutzung freier Kartoffeln missdeuten könnte, mit Bedauern zurückzunehmen.
Wohlmeinend verbleibe ich ihr
[…] ein Beitrag zur Kartoffel: http://info.blogs.rpi-virtuell.net/2012/07/26/tolle-knolle-21-hobbykartoffeln-aus-dem-internet/ Nachdem ich einige geerntet habe, tut es mal gut, den Blick jenseits des Gartenzauns zu […]
Sehr geehrter Herr Haar,
dieser Artikel ist durchaus ernst gemeint und stellt die offene Frage, was mit den Kartoffeln anzufangen sei. Der “Privatkartoffeleinsatz” ist zudem nicht illegal, sondern wie beschrieben sogar bis zu einer Anbaufläche von fünf Hektar für Kleinbauern erlaubt. Daher erscheint mir die Frage drängend, inwiefern Kriterien wie Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Kreativität, und Vielfalt innerhalb der bisherigen gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Geltung kommen können. Sollte das nicht der Fall sein, wäre die Lösung nicht in Illegalität oder Anarchie zu suchen sondern in einer demokratischen Umgestaltung der Gesetzgebung.
Manchmal führt Nichtstun in die Illegalität. Darum, bevor diese Früchtchen verbotene Triebe ausleben, heißt es schnell reagieren im Sinne eines politisch korrekten Anschauungsunterrichts für kommende Generationen! Man will den kommenden Generationen doch nicht beibringen, dass es Überzeugungen gibt, die höher einzuschätzen sind als geltende Gesetze.
Oder etwa doch? Die Hobbykartoffel als Einstieg in die Glaubens-Subversion … interessanter Ansatz.