“Überall Luthers Worte” – Schau zu Luther im Nationalsozialismus

Das Berliner Dokumentationszentrum Topographie des Terrors zeigt bis 5. November 2017 eine Ausstellung über die Vereinnahmung Luthers durch die Nationalsozialisten. Es sei die erste umfassende Ausstellung zur Rezeption Luthers in der NS-Zeit und stelle die staatliche wie auch die kirchliche Berufung auf den Reformator in den Mittelpunkt, erklärte der Direktor der Stiftung Topographie des Terrors,…

Das Berliner Dokumentationszentrum Topographie des Terrors zeigt bis 5. November 2017 eine Ausstellung über die Vereinnahmung Luthers durch die Nationalsozialisten. Es sei die erste umfassende Ausstellung zur Rezeption Luthers in der NS-Zeit und stelle die staatliche wie auch die kirchliche Berufung auf den Reformator in den Mittelpunkt, erklärte der Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Andreas Nachama. Zu sehen sind selten gezeigte Fotografien, Schrift- und Tondokumente sowie Reproduktionen von Drucken und Objekten. Die völkische Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ innerhalb der evangelischen Landeskirchen sah mit dem NS-Regime „die Vollendung der deutschen Reformation im Geiste Martin Luthers“ gekommen. Die Schau steht unter dem Motto „Überall Luthers Worte…“ und zitiert damit Dietrich Bonhoeffer („…und doch aus der Wahrheit in Selbstbetrug verkehrt.“). Sie ist als Wanderausstellung konzipiert. Information: https://www.luther2017.de/de/neuigkeiten/luthers-worte-ueberall-schau-zu-luther-im-nationalsozialismus/ und http://www.topographie.de/ausstellungen/sonderausstellungen/

Andrea Lehr-Rütsche
Andrea Lehr-Rütsche
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Ein Kommentar

  1. Dr. Hans-Jürgen Wünschel 28.Juli 2017
    Carl-Bosch-Straße 13b
    67133 Maxdorf

    Ich bin einigermaßen erschüttert, dass es heute möglich ist, sowohl methodisch als auch inhaltliche eine solche Ausstellung zu präsentieren und dazu noch Aufsätze zu veröffentlichen, die in der Qualität noch unter der eigentlich recht gut gemachten Präsentation der Bilder und Dokumente liegen. Beides zeichnet sich nicht dadurch aus, was sie zeigen, sondern was sie verschweigen. Das darf in der heutigen Zeit nicht möglich sein, doch leben wir eben in einer präfaschistische Zeit, die durch Zensur in allen gesellschaftlichen Bereichen, die etwas auf Niveau achten, schrankenlos herrscht.

    Lassen Sie mich auf einige schwerwiegende Kritikpunkt eingehen.

    Im Vorwort schreiben Sie: „Als erste umfassende Ausstellung zur Rezeption Luthers in der NS-Zeit stellt diese sowohl die staatliche als auch die kirchliche Berufung auf Luther dar.“
    Dieser Satz ist eine kirchenpolitische Sensation, krempelt die Haltung der katholischen Kirche total um und ist deshalb total falsch!. Können Sie mir mitteilen, wann die katholische Kirche sich gerade in der NS-zeit auf Luther berufen hatte?
    Warum vermeiden Sie – ein sehr gravierender methodischer Fehler! – die konkrete Differenzierung zwischen katholischer und evangelischer Kirche? Warum schreiben Sie – wie seit geraumer Zeit die EKD aus recht durchsichtigen Gründen übrigens – von Kirchen? Ist es richtig gerade in der Zeit des Nationalen Sozialismus beide Kirchen in einem Satz ohne Unterschied zu erwähnen? Zu dieser (bewusst?) sehr einseitigen Darstellung passen die Bilder der Ausstellung, im Katalog S. 139 und 140, „Ein Feldgeistlicher erteilt Wehrmachtssoldaten .. den Segen“, „Katholischer Feldgottesdienst…“. Was haben beide Bilder mit M. Luther zu tun?
    Schreiben Sie nicht, dass es bei der Ausstellung „um den Rückbezug auf Luther geht“?

    „Ein spezielles Augenmerk wird auf die Vereinnahmung der antisemitischen Spätschriften des Reformators gerichtet.“ Warum nicht auch auf die Frühschriften?
    Wer hat diese Schriften vereinnahmt? Die Nationalen Sozialisten? Wohl kaum. Es waren doch die Evangelischen, die sich mit dem Hinweis auf Luther den nationalen Sozialisten und dem Führer angedient hatten! Warum wird hier die historische Verantwortung der lutherischen Kirchenfürsten verniedlicht, gar geleugnet?
    Warum fehlt der ganze Text mit den acht Punkten, geradezu das „Parteiprogramm“, Luthers zur schändlichen Behandlung der Juden.Warum wird nicht wenigstens ein protestantisches Amtsblatt veröffentl9icht, das diese acht punkte mit e9inem großen Teil des erläuternden Text Luthers den Besuchern präsentiert? Weil man sich heute schämt, dass protestantische Pfarrer und Bischöfe solche schändlichen Aussagen Luthers den „Schäfchen“ vorgelegt hatte oder weil man zensiert, denn es kann ja nicht sein, was nicht sein darf. Das ist doch das Motto der EKD im Umgang mit der historischen Wahrheit über Martin Luther.
    „Besondere Bedeutung wird dem evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer zugemessen.“ Warum? Hat er nicht mit Berufung auf Luther dafür für gestimmt, dass Behinderte ermordet werden sollen? Warum fehlt ein diesbezüglicher Hinweis in der Ausstellung und in den Aufsätzen? Warum fehlt ein Hinweis darauf, dass sich Bonhoeffer nicht von den antisemitischen Schriften Luthers distanziert hat?
    Warum besonders Bonhoeffer? Weil die protestantische Kirche sonst niemanden hatte, den man bis heute dem Publikum als einiger maßen zu Hitler stehender Protestant vorweisen kann. Warum wird diese historische Tatsache aber nicht vermittelt? Warum diese Zensur? Übrigens begründete die protestantische Diakonie die Ermordhj7ung Behinderter mit Gas „weil Gas nicht so weh tut“. Warum ist dazu in der Ausstellung und im Katalog nichts zu lesen? Warum kein Hinweis auf die Haltung der protestantischen Pfarrer und Bischöfe, Behinderte dem Tod zu übergeben, so wie Luther dies gefordert hatte, während die ka5tholische Kirche dies strickt abgelehnt hatte, auch unter Bezug auf ein entsprechendes Schreiben des damaligen Papstes. Allein schon aus diesem einzigen Grund hätte sich die pauschale Benennung „Kirchen“ verboten.

    Nun einige Bemerkungen zu den Aufsätzen. Der Katalog erhebt den Anspruch, Luther in Deutschland zu präsentieren. Auf jeden Fall gibt es keinen Hinweis auf die territoriale Einschränkung der Texte und Bilder. Der Aufsatz „Lutherbilder im Nationalsozialismus“ befasst ich nur mit Erzeugnissen im östliche bzw. nördlichen Deutschland. Kein erläuternder Hinweis, warum die anderen Teile des Reiches nicht berücksichtigt wurden, besonders dann, wann man so stolz erwähnt, dass im Rahmen einer ersten bundesweiten Recherche (! – gibt es dazu auch ein deutsches Wort) Neubauten und Umgestaltungen erhoben wurden. Suggeriert wird ja „vollstängig“.

    Dass der Katalog und die Aufsätze die maßgebende Arbeit von Heinz Schilling nicht berücksichtigt dürfte die vielen Fehler erklären. Der Aufsatz von H. Lehmann ist wohl nur eine erste Skizze für ein größeres Werk, denn es fehlen sehr viele erklärende und zum Verständnis der den Nationalen Sozialismus unterstützende Haltung der Protestanten notwendige Aussagen. Warum fehlt auf S. 176 der Bezug auf C.F. Meyers Gedicht „Der Schmied“? Warum fehlen Texte, die die Haltung der Juden in Deutschland zu Luther erklären, etwa die Arbeiten von Graetz, die eine Reaktion bei Antisemiten auslösten. Warum kein Hinweis auf den Antisemitismusstreit in Berlin? Zensur? Warum keine der tatsache, dass das protestantische Bürgertum in Politik und Gesellschaft antisemitisch eingestellt war und besonders nach dem 1. Weltkrieg nur darauf wartete, dass endlich ein Staat kommen würde, der mit den Juden „kurzen Prozess“ machen würde. Warum kein Hinweis in diesem Aufsatz auf das Wahlverhalten der protestantischen Bevölkerung während der Kaiserzeit, besonders aber während der Weimarer Republik? Sollte verschwiegen werden, dass zu überwiegendem Maße die Protestanten die antisemitische Partei des Nationalen Soz8ialismus gewählt hatten?

    Ein Aufsatz widmet sich den Kirchenliedern Luthers. Lobenswert. Warum wird neben „Eine feste Burg…“ das seit dem 16. Jahrhundert für die Protestanten wichtigste Lied nicht erwähnt? „Erhol uns Here by dunem Wordt, und stüre des Pawest und Türken mordt…“ Sollte wohl in unseren Tagen der Willkommenskultur nicht an Luthers Hass auf die Türken hingewiesen werden?

    Schlimm ist der Aufsatz von O. Blaschke. So macht man es! Wenn man keine Belege findet für eine Behauptung, dann weicht man aus: „Als Gegenbeweis reicht ein Blick auf die Judenfeindschaft im katholischen Frankreich und Polen…“. Heißt es nicht in anderem Zusammenhang, dass man sich vor generalisierenden Aussagen hüten sollte? Ist der Katholizismus in Frankreich und in Polen mit dem deutschen Katholizismus auch nur im Entferntesten vergleichbar? Warum wird die in einem „wissenschaftlichen“ Aufsatzband nicht beachtet?
    Dann werden antisemitische Aussagen von Katholiken (welche Bedeutung hatten diese??) zitiert, um aber zugleich darauf hinzuweisen, dass die Autoren doch nicht antisemitisch gewesen wären… „besonders die Schrift Kaupels sei nicht primär gegen die Juden, sondern vor allem gegen den Protestantismus gerichtet“. Wurden mit „Mühe und Not“ drei katholische Autoren gefunden, die antisemitisch gewesen waren? Und das wird auf eine Stufe gestellt mit antisemitischen Äußerungen der gesamten protestantischen und Lutherischen Kirche, die seit Luther sich diesen Antisemitismus als kirchliches Gebot bediente.

    Auf den Aufsatz von Steinbach will ich nicht näher eingehen, da er seine bekannten einseitigen, meist wissenschaftlich kaum belegbaren persönlichen Ansichten enthält.
    Niemöller als Repräsentant des Kampfes gegen de n Nationalen Sozialismus zu präsentieren verbietet sich, da dieser nach 1945 ein bedingungsloser Gefolgsmann eines anderen Totalitarismus wurde. Warum er die Entstehungsgeschichte der „Stuttgarter Schulderklärung“ nicht nach der neuesten Forschung darstellt ist ein forschungspolitischer Missgriffe ersten Ranges. Katholische und protestantische Widerständler gegen A. Hitler ohne Namen und nur pauschal zu nennen, deckt sich mit der Tendenz der Ausstellung und der Aufsätze, die katholische Kirche, die bis in die untersten Gemeinden Widerstand geleistet hatte, gemeinsam mit der meist sich dem nationalen Sozialismus andienenden protestantische Kirche als „die Kirchen“ zu benennen.

    Es gäbe noch ein Fülle von Bemerkungen über Schludrigkeiten und methodische Fehler machen.
    Nur ein Hinweis noch. Seit Jahren ist es üblich, dass die Autoren wenigstens in Kurzbiographien vorgestellt werden. Warum in diesem Katalog nicht?

    Ich finde es skandalös, wenn eine solche Ausstellung und ein solcher Katalog in der Hauptstadt Deutschlands, in Berlin präsentiert werden. In keinem anderen Land wäre eine solche, vermutlich mit „heißer Nadel“ gestrickte Arbeit möglich. Dies ist wieder einmal ein Beweis dafür, auf welche kulturelle und wissenschaftliche schiefe Ebene wir geraten sind, in erster Linie (Partei-, Kirchen)politik zu bedienen.

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