Studie: Auch schwächere Schüler können sich komplexe Themen selbst aneignen

Bildungswissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) gezeigt, dass sich Schüler Lösungsstrategien auch für komplexe Mathematikaufgaben selbst erarbeiten können. Schwächere Schüler schnitten dabei ebenso gut ab wie begabte. Berechne die Fläche von Gran Canaria! Für 14 Jahre alte Schüler kein Kinderspiel. Hier ist nicht eine simple Formel, sondern eine Strategie gefragt, mathematisches Wissen in der Praxis…

Bildungswissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) gezeigt, dass sich Schüler Lösungsstrategien auch für komplexe Mathematikaufgaben selbst erarbeiten können. Schwächere Schüler schnitten dabei ebenso gut ab wie begabte.

Berechne die Fläche von Gran Canaria! Für 14 Jahre alte Schüler kein Kinderspiel. Hier ist nicht eine simple Formel, sondern eine Strategie gefragt, mathematisches Wissen in der Praxis anzuwenden. Welche Informationen sind wichtig? Welche geometrischen Modelle und Werkzeuge kann ich nutzen? Auf die Idee, dass sich die Insel wegen ihrer Form annähernd mit der Fläche eines Kreises berechnen lässt, muss man erst einmal kommen. Können sich Schüler die Kompetenz zur Lösung solcher Fragen selbst erarbeiten? Oder sollten die Lehrer vorab erklären, mit welchen Strategien die Jugendlichen vorgehen müssen?

Um dies herauszufinden, haben Mathematikdidaktiker der TUM rund 1600 Gymnasiasten der Jahrgangsstufe acht in verschiedenen Bundesländern unter die Lupe genommen. Nach einer thematischen Einführung durch die Lehrer bekamen die Schüler ein Arbeitspaket mit geometrischen Aufgaben, die sie auf dem Papier und am Computer während vier Schulstunden lösen sollten. Nicht nur bei der Flächenberechnung Gran Canarias handelte es sich um offen gestellte Fragen zu realen Begebenheiten. Im Material fanden die Jugendlichen dazu Erklärungen und Beispiele für Lösungsmöglichkeiten. Sie arbeiteten paarweise zusammen, die Lehrer hielten sich in dieser Zeit zurück, standen aber für Nachfragen bereit.

Nachdem die TUM-Forscher vor und nach der Unterrichtseinheit die Kompetenzen der Schüler getestet hatten, war klar: Die Achtklässler haben einen deutlichen Lernfortschritt erreicht. „Sie haben gelernt, Mathematik besser zu nutzen“, sagt Studienleiterin Prof. Kristina Reiss. Das Wissen konnten sie auch in einem weiteren Test drei Monate später noch abrufen.

Die Bildungsforscher wollten zudem wissen, welcher Grad an Selbstregulierung sinnvoll ist. Eine Gruppe der Achtklässler bearbeitete die Aufgaben in einer festgelegten Reihenfolge, die Schwierigkeit erhöhte sich von Schritt zu Schritt. Die andere Gruppe konnte aus dem Material frei wählen. Dieser größere Freiraum steigerte den Lernerfolg aber nicht weiter. Was die Wissenschaftler dabei am meisten überraschte: „Wir hatten erwartet, dass die in Mathematik schwächeren Schüler mehr profitieren, wenn sie stärker durch die Einheit geführt werden“, sagt Reiss. „Einen signifikanten Unterschied zwischen ihnen und den stärkeren haben wir aber nicht festgestellt.“ Auch Jungen und Mädchen schnitten gleich gut ab.

„Wir wissen nun, dass sich Schüler auch sehr komplexe Themen mit ihrem individuellen Tempo eigenständig aneignen können – auch schwächere Schüler“, sagt Reiss. „Obwohl sie oft propagiert werden, sind solche längeren Phasen selbstregulierten Lernens in den Schulen noch nicht alltäglich. Sie sind aber eine wichtige Option für die Lehrer, denn wechselnde Unterrichtsformen halten den Unterricht lebendig.“

Die Studie wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert, beteiligt waren Psychologen der Ludwig-Maximilians-Universität München (Prof. Reinhard Pekrun).

Hintergrund:
Die Technische Universität München hat 2009 die TUM School of Education als erste deutsche Fakultät für Lehrerbildung und Bildungsforschung gegründet. Sie organisiert fächerübergreifend das Studium aller Lehramtskandidaten der TUM, wodurch die fachwissenschaftlichen und die didaktisch-pädagogischen Teile des Studiums systematischer aufeinander abgestimmt werden. Die Studierenden werden bereits ab dem ersten Semester mit Praktika an die Unterrichtspraxis herangeführt. Die Forschungserkenntnisse der Bildungswissenschaftler und Fachdidaktiker fließen unmittelbar in das Lehreramtsstudium und über Lehrerfortbildungen in den Schulunterricht ein. Über ein Kooperationsnetz mit zahlreichen Schulen weckt die TUM School of Education bei Jugendlichen das Interesse für mathematisch-naturwissenschaftliche Studienfächer.

Ansprechpartnerin:
Prof. Kristina Reiss
TUM School of Education
Heinz Nixdorf-Stiftungslehrstuhl für Didaktik der Mathematik
Telefon: 089 289 25399
E-Mail: kristina.reiss@tum.de

Kontakt: presse@tum.de

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Jörg (rpi-News-Autor) Lohrer
Jörg (rpi-News-Autor) Lohrer
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Ein Kommentar

  1. Welch erfreuliche Nachricht, doch mir fehlt der Glaube an die Allgemeingültigkeit der Aussage, dass schwächere Schüler bei selbsttätigem Unterricht genau so gute Fortschritte erzielen wie die Mitschüler.
    Meine 20jährige Unterrichtserfahrung spricht zumindest gegen die pauschalen und aussschließlich optimistischen Formulierungen.
    Mich interssiert, welche Bedingungen vorhanden sein müssen, damit der beschriebene optimale Fall eintritt. Immer wieder teste nicht nur ich, sondern einige Kollegen Phasen des Selbstbestimmten Lernens. Nur in seltenen Fällen führten in meinem Bekanntenkreis diese Phasen zu akzeptablen Ergebnissen sowohl für die Schüler selbst als auch die Lehrkräfte.

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