Religionsunterricht in der Schweiz: Interview mit Guido Estermann

Die Gesellschaft verändert sich – und auch kirchliche Institutionen sind aufgefordert, ihr Handeln und ihre Zielsetzungen zu überdenken. In der Schweiz wurde in einem breit angelegten Prozess ein zukunftsweisendes Leitbild für die Katechese entwickelt. Guido Estermann, Leiter der "Fachstelle für Ethik, Religionen und Kultur" war daran beteiligt und bietet Einblicke in die Situation des RU…

Guido Estermann

Die Gesellschaft verändert sich – und auch kirchliche Institutionen sind aufgefordert, ihr Handeln und ihre Zielsetzungen zu überdenken. In der Schweiz wurde in einem breit angelegten Prozess ein zukunftsweisendes Leitbild für die Katechese entwickelt. Guido Estermann, Leiter der "Fachstelle für Ethik, Religionen und Kultur" war daran beteiligt und bietet Einblicke in die Situation des RU in der Schweiz.

 

 

Katholische Kirche in der Schweiz:
Leitbild "Katechese im Kulturwandel" 

Die Deutschschweizerische
Ordinarienkonferenz (DOK) hat in einem breit angelegten Prozess ein
zukunftsweisendes Leitbild zur Katechese entwickelt und am 17. März
2009 verabschiedet.

Religionspädagogische Arbeit, so das
Leitbild, soll die verschiedensten Lebenswelten als Lernorte des
Glaubens erschließen, es ermöglichen, die eigene Lebensgeschichte mit
der Glaubenstradition der Kirche zu verknüpfen und eine eigene
christliche Glaubensidentität zu entwickeln. Ein solches Lernen wird
als subjektbezogener Prozess und ökumenisches Angebot begriffen. 

  • Leitbild: "Katechese im Kulturwandel"
    PDF-Datei – mehr

Religionsunterricht in der Schweiz:
Interview mit Guido Estermann

  • Fach "Ethik und Religionen" oder "Menschen und Kulturen"
  • "Ohne Zwang den eigenen Glaubensweg entdecken"
  • Zusammenarbeit mit der Stiftung Weltethos 
  • Neue Medien im Unterricht

Religionsunterricht in der Schweiz
Guido Estermann, Fachstelle für Ethik, Religionen und Kultur, im Interview

Guido Estermann ist Dozent für Ethik und Religionen und leitet die Fachstelle für Ethik, Religionen und Kultur (mehr)
an der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz in Goldau. Er führt Angebote zur Aus- und Weiterbildung durch, betreut Schulprojekte und
berät Unterrichtende und Schulbehörden von Volksschulen, Berufschulen,
Gymnasien.

Schweizer FahneFach "Ethik und Religionen" oder "Menschen und Kulturen"
Wie man an Ihrem Tätigkeitsprofil sieht, geht die Schweiz einen eigenen Weg im Religionsunterricht. Sie leiten die Fachstelle für "Ethik, Religionen und Kultur".

Für die religiöse Bildung werden in vielen Kantonen zwei
Schienen gefahren: Der staatliche Ethik- und Religionsunterricht und der kirchlich-konfessionlle, häufig auch
ökumenische Religionsunterricht von den Kirchen.

In der Schweiz sind – ähnlich wie in Deutschland – die einzelnen Kantone für Bildungswesen und Religionsunterricht zuständig. Viele Kantone der Deutschen- und Französischen Schweiz haben in den letzten zehn Jahren das Fach "Ethik und Religionen" oder "Menschen und Kulturen" eingeführt.
Damit ist ein überkonfessioneller, staatlicher Ethik- und Religionsunterricht gemeint, der für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend ist und von staatlichen Lehrpersonen erteilt wird.

Die Lehrpläne sind, typisch für die Schweiz, etwas verschieden, im Grunde geht es aber überall um die Kompetenz des interreligiösen Dialoges und der Initiierung ethischer Lernprozesse. Inzwischen gibt es auch Bestrebungen, die Lehrpläne zu harmonisieren.

Gleichzeitig haben in vielen Kantonen die Kirchen weiterhin die Möglichkeit, ihren kirchlichen Religionsunterricht in der Schule durch kirchliche Lehrpersonen erteilen zu lassen. Dafür bilden sie eigene Katechetinnen und Katecheten aus, zahlen ihnen die Löhne und bestimmen die Lehrpläne.

Schweizer Fahne"Jeder Mensch ist frei – ohne Zwang den eigenen Glaubensweg entdecken"
In der Schweiz wurde vor kurzem ein Leitbild "Katechese im Kulturwandel" verabschiedet. Wie wird sich dies Leitbild auf den Religionsunterricht auswirken?

Für die kirchliche Katechese haben die Deutschschweizer Bischöfe vor
zwei Jahren den Auftrag erteilt, ein neues Leitbild zu entwerfen. In
einem breit angelegten demokratischen Prozess sind dabei 12 Leitsätze
entstanden.

Klar ist: Die Katechese steht im Kontext eines für die Kirche
einschneidenden Wandels.
Katholische Milieus gehören schon längst der
Vergangenheit an, die Medialisierung und Digitalisierung der
Gesellschaft bringt enorme Veränderungen mit sich und leider ist eine
zunehmende Fundamentalisierung, auch in der katholischen Kirche,
feststellbar.

Gerade dieser letzten Tendenz will das Leitbild bewusst
entgegentreten. Die Optik ist eindeutig: Jeder Mensch ist frei und soll
ohne Zwang seinen Glaubensweg entdecken und dabei bedarf es
verschiedenartigste Ausdrucksformen und Wege. Katechese wird auch als
Teil der Gesamtpastoral verstanden und kann nicht einfach an Fachleute
delegiert werden.

Diese Umsetzung geschieht wiederum mit allen Verantwortlichen der Kirche, angefangen von der Katechetin, über den Gemeindeleiter bis hin zu den staats-kirchenrechtlichen Organisationen, welche in der Schweiz die Oberhoheit über die Finanzen haben.

Schweizer FahneZusammenarbeit mit der Stiftung Weltethos

Einer Ihrer Schwerpunkte ist die Zusammenarbeit mit der Stiftung Weltethos.


Ja, da haben wir einiges vor. Wir werden die bestehenden Lehrmittel der Stiftung an den helvetischen Kontext anpassen und – ganz neu – ein Lehrmittel für die Kindergarten-Unterstufe, also für 4-8Jährige entwickeln. Das wird ein sehr innovatives Lehrmittel, in dem beispielsweise die Prinzipien der Binnendifferenzierung und des handlungsorientierten Zuganges für ethische Lernprozesse umgesetzt werden.

Bereits jetzt bieten wir Kurse zu "Interreligiösen Projekttagen" an wie auch Vorträge zum Thema "Weltethos". Für Lehrpersonen und ganze Schulteams werden wir die Lehrmittel und bereits entwickelten Ausstellungs- und Filmmaterialien in zwei- bis dreistündigen Einführungsveranstaltungen vorstellen. Ab August 2010 geht es los.

Auch das Materialangebot werden wir ausbauen und zum Beispiel einen Materialkoffer zu den fünf Weltreligionen entwickeln.

Schweizer FahneNeue Medien im Unterricht:
Lehrkräfte nutzen Angebote bisher noch eher für sich selbst

In der Schweiz gibt es für Lehrkräfte umfangreiche Hilfen für den Einsatz und die Nutzung neuer Medien. Wie werden solche Angebote im Unterricht selbst genutzt?

Sehr unterschiedlich. Neuste Ergebnisse des Forschungsinstitutes für neue Medien unserer Hochschule im Auftrag des Nationalfonds zeigen, dass zwar die Lernplattformen und Infrastruktur von vielen Lehrpersonen genutzt wird. Heute sind eine Grosszahl der Lehrpersonen bei Educanet2 registriert.

Was jedoch auffällt ist, dass viele Lehrpersonen die Plattformen als persönliche Ablage und die Mailfunktion benutzen. Viele Schulen brauchen Educanet2 für die interne Kommunikation. Das sind wichtige erste Schritte. Bisher sind es jedoch noch wenige Lehrpersonen, die wirklich die Möglichkeiten des Online-Lernens mit den Schülern umsetzen.

Spricht man die Praktiker darauf an, wird oft darauf hingewiesen, dass zu wenige Computer in den Schulen zur Verfügung stehen oder auch eigene Defizite für die Umsetzung vorhanden sind. Hier gibt es also noch einigen Lern- beziehungsweise Fortbildungsbedarf.
Trotzdem: Lernplattformen und Online-Lernen werden für die Zukunft an Bedeutung massiv gewinnen und es gilt, dementsprechende Innovationen zu fördern.

Das Interview führte Julia Born.

Weiterlesen

  • Fachstelle für Ethik, Religionen und Kultur,
    Pädagogische Hochschule Zentralschweiz: mehr
  • Schweizer Bildungsserver zebis.ch:
    Lehrplan "Ethik und Religion(en) für das 1. – 6. Schuljahr"
    mit Literatur- und Materialtipps zu den einzelnen Zielen – mehr

 

 

Julia Born
Julia Born
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